In 30 Jahren einmal um den Dom

Moderne Techniken der Steinrestaurierung

20/09/2023

von Erich Pummer

Wir stehen kurz vor der Fertigstellung der Restaurierungsarbeiten am Südturm. Es fehlen noch wenige Maßwerke und Quader an der Ostfassade und das südseitige Primtor im Außenbereich.
Ich blicke 25 Jahre zurück ins Jahr 1998, wo seitens des Dombaumeisters Arch. Wolfgang Zehetner der nördliche Abschnitt des Albertinischen Chores zur Restaurierung ausgeschrieben wurde.

Man kann diesen Schritt durchaus als Pionierleistung bezeichnen, denn bis zu diesem Zeitpunkt war es fast ausschließlich der Dombauhütte St. Stephan vorbehalten, sich um die Instandhaltung und Pflege der Fassaden des Domes zu bemühen.

Ohne diese Leistungen, welche über Jahrzehnte in hochprofessioneller Weise von den Steinmetzen und Bildhauern erbracht wurden, wäre die Betrachtung des Domes in seiner heutigen Form nicht mehr möglich. Der überlieferten Tradition folgend, wurden systematisch besonders schwer geschädigte Steinblöcke, Fialen oder Kreuzrosen erneuert, und auch statisch kritische Bereiche durch den Einbau neuer Sandsteinquader saniert.

Doch zeigte es sich immer deutlicher, dass diese Tradition mit der zunehmenden Erosion der gesamten Gesteinsoberfläche, mit all ihren Facetten nicht mehr mithalten konnte. Die prinzipielle Entscheidung, mit einer vollflächigen Konservierung der Domfassaden zu beginnen, wurde einvernehmlich von Wissenschaftlern, Denkmalpflegern und dem Domkapitel getroffen.

Der Beginn der Zusammenarbeit

Der Zuschlag zur Restaurierung der Chorfassaden an mein Atelier vor 25 Jahren bedeutete für mich eine große Herausforderung, aber auch eine schwerwiegende Verantwortung. Dieser erste Abschnitt sollte doch beispielgebend für alle weiteren Restaurierungsvorhaben am Dom bestehen können. Alle aktuell verfügbaren Erkenntnisse in Fragen der Steinreinigung, Festigung, Ergänzung und Verfügung der Quader mussten in das Konzept einfließen.

Eine der Hauptursachen für den dramatischen Steinzerfall, welche mit unterschiedlicher Wirkung auf die verschiedenen Steinvarianten nachweisbar ist, ist die Oberflächenverdichtung durch chemische Umwandlung des Kalkbindemittels oder/und die durch die Luftverschmutzung abgelagerten schwarzen Krusten, die im Wesentlichen aus Ruß, Gips, Quarz und sonstigen Rückständen aus Verkehr, Hausbrand und Industrie bestehen.

Wasserspeier am Westwerk: Vakuumkonservierung in situ

Neue Techniken

Mit chirurgischen Skalpellen, Mikrosandstrahl, Ultraschallresonanz, pneumatischen Mikromeißeln und mit der revolutionierenden Nd.Yag.-Lasertechnik wird die originale Oberfläche wieder ans Tageslicht geholt, und die, auch für den Stein lebensnotwendige Atmung somit wiederhergestellt.

Die Entscheidung zum Einsatz der Lasertechnik wurde deshalb favorisiert, da in den zwei Jahren zuvor das Riesentor mit ebendieser Technik teilweise und sehr zufriedenstellend von schwarzen Krusten befreit werden konnte. Die von Fachleuten und vom Bundesdenkmalamt empfohlene Lasertechnologie, zur schonenden, berührungslosen Freilegung originaler Steinoberflächen sollte in Zukunft zur Standardqualität am Stephansdom bestimmt werden.

Da ich schon parallel zu den Arbeiten am Riesentor einschlägige Erfahrungen im Zuge der Restaurierung von Epitaphen an der Westfassade, darunter das Epitaph des Apothekers Augustin Holdt von 1509, erarbeiten konnte, erleichterte dies meine Entscheidung zugunsten Investition und Weiterentwicklung von Lasergeräten, die für einen langfristigen Einsatz geeignet sein mussten.

Die Konservierung und Restaurierung der Chorfassaden nahm letztendlich einen Zeitraum von acht Jahren (1997-2004) in Anspruch. Als "Spaziergang" kann ich nachträglich beurteilt dieses Projekt wahrlich nicht ansehen. Waren es doch fast durchwegs unbekannte Herausforderungen im Umgang mit der noch neuen Lasertechnologie, besonders die Belastungen der sensiblen Geräte im Dauereinsatz, bei Wind und Wetter und zahllosen Manipulationen auf den verwinkelten Gerüstetagen.

Die italienische Herstellerfirma der Geräte in Mailand wurde in den ersten Monaten des Einsatzes zur fast wöchentlichen Destination mit meinem Lieferwagen, um die strapazierten Lasereinheiten zu warten, neu zu justieren und auch um Verbesserungen vorzunehmen, die sich im Verlauf der Arbeiten als unumgänglich erwiesen hatten.

Heute verfügen wir über einen eigenen Spezialisten, Ing. Daniel Dietrichstein in Wien, der sich intensiv mit Lasertechnik auseinandersetzt, und neben unseren Maschinen sich auch um jene in den Krankenhäusern und Kliniken in ganz Österreich und den angrenzenden Ländern kümmert. Ihm gebührt herzlicher Dank!

Erich Pummer an der Spitze des Südturmes

Erich Pummer an der Spitze des Südturmes

Parallel zum Albertinischen Chor wurden Arbeiten am Südturm "eingeläutet", die aufgrund akuter statischer Mängel an einem nordwestlichen "Riesen" in Angriff genommen werden mussten. Die Dombauhütte konnte diesen Eingriff mit spektakulärer Methodik erfolgreich umsetzen. Unser Einstieg in die Konservierungsarbeiten am Südturm war nach gewonnener Ausschreibung ein langer und beschwerlicher, jedoch höchst motivierender Abschnitt meiner Karriere am Dom zu St. Stephan.

In den gebirgsähnlichen Höhen dieses fantastischen Bauwerkes wurde unser Team mit besonderen, klimatischen Bedingungen konfrontiert. Wenn im Sommer die Touristen rund um den Dom leicht bekleidet in den Kaffeehäusern saßen, kämpften unsere Restauratoren in über 100 m Höhe mit starkem, oft kaltem Wind, praller Sonne oder waagrecht einprasselndem Regen. Hier trennte sich die Spreu vom Weizen, und so manche Kollegin und mancher Kollege warfen das Handtuch und mussten von resistenteren Restauratoren ersetzt werden.

Jedoch nicht nur die menschliche Komponente hatte einer hohen Beanspruchung standzuhalten, auch die zum Einsatz kommenden Restaurierungsmaterialien mussten auf die extremen Bedingungen eingestellt werden. Zu Beginn galt es auch einen Rückschlag einzustecken, da z.B. der am Chor rezeptierte und erfolgreich eingesetzte Fugenmörtel auf reiner Kalkbasis den klimatischen Bedingungen am Südturm nicht standhalten konnte. Einige Abschnitte, teilweise auch schon ausgetrocknete Fassadenteile, mussten nochmals überarbeitet werden, und mit Hilfe von Bergsteigertechnik wurden die Fugen mit neuer Rezeptur, auf Basis hydraulischer Kalke und organischer Zusätze dauerhaft saniert.

Die Westfassade samt den beiden Heidentürmen, bekannt als älteste Bauteile des Domes, stand in den Jahren 2007 bis 2011 im Zentrum der Konservierungsaktivitäten. Besonders die große Vielfalt an verbauten Gesteinsvarianten aus unterschiedlichsten Brüchen in ganz Niederösterreich bedeutete einen immensen Aufwand in der Rezeptierung der Restauriermörtel samt Beschaffung der passenden Zuschläge und Bindemittel.

Westwerk

Das Westwerk, auch bekannt als die Wetterseite des Bauwerkes, ist die, abgesehen vom Südturm, am meisten beanspruchte Fassade des Domes. So mussten die an den äußeren Ecken positionierten Stifterskulpturen der Katharina von Luxemburg und Rudolfs IV. aus dem 14. Jh. schon im 19. Jh. durch Kopien ersetzt werden, da sie durch Wind, Regen und Frost schon schwer in ihrer Form dezimiert waren. Die Originale befinden sich im Wien Museum.

Doch auch bereits diese Kopien als auch einige noch originale skulpturale Wasserspeier unterhalb der Altane befanden sich in einem fortgeschrittenen Verfallsprozess. Deren Konservierung erfolgte mit der von uns entwickelten Unterdruckmethode (VKV - Vakuum-Kreislauf-Verfahren), die darauf ausgerichtet wurde, Steinkonservierungsmittel tief und durchdringend in den geschädigten Stein zu transportieren, und somit eine langfristige Erhaltung der wertvollen Details zu garantieren. Diese Vakuum-Behandlung wurde auch den Kopien der Stifterfiguren zuteil.

Südfassade

Im Anschluss zur Westfassade folgte die Südfassade mit dem fragilen Friedrichsgiebel. Obwohl man annehmen musste, dass die Südfassade vom Wetter weniger belastet sei, ist es doch genau gegenteilig. Besonders in den Wintermonaten ist die Südausrichtung am häufigsten von starken Temperaturschwankungen betroffen, in der Fachsprache mit „Frost-Tauwechsel“ bezeichnet.

Mit jeder Phase des Einfrierens und des Wiederauftauens von durchfeuchteten Abschnitten wird im Gestein Stress aufgebaut, was unvermeidlich zu Abplatzungen und Rissbildungen führt. Dieser Fassadenabschnitt mit der Bartholomäuskapelle und dem Singertor nahm einen Zeitraum von vier Jahren in Anspruch (2014-2018).

Nordfassade

Im Vergleich dazu ist bei den 2022 begonnenen Reinigungsarbeiten an der Nordfassade ein völlig anderes Phänomen anzutreffen. Der vom Schlagregen und direkter Sonneneinstrahlung kaum betroffene Fassadenabschnitt ist umso mehr von schwarzen Ablagerungen und Verkrustungen betroffen. Der Aufwand der Reinigung ist hier viel höher, jedoch sind tiefreichende Steinzerstörungen seltener, da es diese extremen Temperaturschwankungen nur im geringeren Ausmaß gibt.

Dazu wurde eine sehr aufschlussreiche Studie vom Atominstitut der Öst. Universitäten, Prof. Dr. Max Bichler durchgeführt, worin die Zusammensetzung der schwarzen Krusten genau unter die Lupe genommen wurde. Was man landläufig so banal wie „Ruß“ bezeichnet, ist eine komplexe Zusammensetzung unterschiedlichster chemischer Elemente und Mineralien. Je nach Exposition zeigen die analytischen Daten sehr deutlich, dass die Entwicklung der Luftverschmutzung mit Hilfe der Konzentrationen verschiedener Elemente in Krusten bekannten Alters nachvollzogen werden kann.

Aktuelle Arbeiten

Aktuell werden ab April 2023 die Konservierungsarbeiten am "Straubschen Epitaph" von 1540 vorbereitet. Es handelt sich um die benachbarte Nische neben dem im Jahr 2003 restaurierten "Lackner Ölberg" von 1502. Diese beiden sehr plastischen Reliefdarstellungen erfordern höchste Sensibilität und vor allem Aufmerksamkeit gegenüber der ursprünglichen Farbfassung – Polychromie. Obwohl die Kunstwerke im 19. Jahrhundert leider sehr gründlich gereinigt wurden, besteht immer noch die Möglichkeit, unterhalb der Schmutzkruste auf versteckte Reste farbiger Gestaltung zu stoßen, die eine virtuelle Rekonstruktion des Farbkonzeptes ermöglichen könnten. Wir werden bewährte Methoden wie den Ultraschallresonator verwenden, um die dicken schwarzen Krusten zu lockern, um sie dann mit Skalpellen und Glasfaserpinseln zu reduzieren. Mit dem Nd:YAG-Infrarotlaser werden wir uns schichtenweise an die originale Oberfläche herantasten, um dann mit Radierschwämmen und Dentalwerkzeugen die verbliebenen Verschmutzungen und jüngeren Farbauflagen abzunehmen. Wir wollen keine nackte, totgereinigte Oberfläche hinterlassen, sondern die über Jahrhunderte gealterte Steinoberfläche mit sämtlichen Hinweisen und Spuren ihrer ursprünglichen Erscheinung erhalten und präsentieren.

Dieses Jahr begehen wir das 25-jährige Jubiläum unserer Aktivitäten am und rund um den Dom von St. Stephan. Ich und mein Team, Projektleiterin Karin Kirschenhofer und Projektleiter Ewald Zederbauer, sind dankbar und demütig für dieses Vertrauen in unsere Konservierungsarbeiten, die wir durch ganz spezifische Methoden, Techniken und Materialien weiterentwickeln konnten.

Westfassade Vorzustand, Nordabschnitt fertig restauriert, Südabschnitt vor der Restaurierung

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In 30 Jahren einmal um den Dom

Technologien

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2022 - 2025

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„Lackner Ölberg“, Dom St. Stephan, Wien

2002

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2006

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1996

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Straub Epitaph, Dom St. Stephan, Wien

2023 - 2024

Reliefdarstellung aus Breitenbrunner Kalksandstein, ca. 1540

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